Wir verwenden Cookies, um Ihre Erfahrung zu verbessern. Um die neuen Datenschutzrichtlinien zu erfüllen, müssen wir Sie um Ihre Zustimmung für Cookies fragen. Weitere Informationen
Wegen Folsäure ins Gefängnis?
Wieder so eine Gruselstory. Menschen lieben nun einmal den Horror. Auch Ärzte sind Menschen: Liest ein Kollege, ein Arzt und „Vitamin-Fan“ einen New-York-Times-Bestseller von Fuhrman. Da geht´s um gesunde Kost. Aber auch um blanken Horror: Da steht
Folsäure macht Krebs.
Dessen ist Fuhrman sich ganz sicher. Und er zitiert prompt sechs wissenschaftliche Arbeiten, Ernährungsstudien, die das beweisen. Da stutze auch ich. Folsäure macht Krebs? Das macht ja richtig Angst:
-
In den USA wird Folsäure absichtlich jeglichem Mehl zugemischt. Und prompt sinkt Jahr für Jahr die Todesrate an Schlaganfall und Herzinfarkt. Wenn Folsäure aber Krebs macht?
Dann müsste der US-Gesundheitsminister genau wie der Präsident unverzüglich ins Gefängnis wegen fahrlässiger Tötung. Oooh… wäre das vielleicht eine elegante Lösung? -
Folsäure verschreibt streng nach den Richtlinien jeder deutsche Frauenarzt/-ärztin seinen/ihren schwangeren Patientinnen. Verhindert so nachweislich gravierende Geburtsfehler genau wie Anämie.
Wenn Folsäure Krebs macht, wie Fuhrman behauptet, muss zwangsläufig jeder deutsche Frauenarzt ins Gefängnis. Krebs zu verursachen ist sicherlich eine strafbare Handlung.
Nun denn, meint der anfragende Kollege. Aber hier steht´s doch. Belegt durch sechs Studien.
Wissen Sie was jetzt kommt? Der Tanzbär fängt wieder das Tanzen an (News: Ja, ja wir Tanzbären). Irritiert tue ich was? Ja, du meine Güte: Ich besorg mir halt diese Studien und lese sie durch. Oder?
Sollte das nicht jeder tun, jeder, der solch merkwürdige Behauptungen liest? Also auch Sie?
Nehme mir also die ersten beiden zitierten Arbeiten zur Brust. Eine von Ness (16), eine von Stolzenberg-Solomon (17). Und was finde ich? Genau das Gegenteil vom Behaupteten.
Immer das Gleiche. Wird mir langsam so zuwider. Hängt mir einfach zum Halse raus. Also los:
- In der ersten Studie geht es um Folsäure in der Schwangerschaft. Folsäure resultiert in 20% höherer Sterberate, und doppelt so viel Toten durch Brustkrebs.
Ist selbst den Autoren spanisch: Es könnte sich hier um einen ZUFALLSBEFUND handeln, meinen die. Denn die Anzahl der Todesfälle sei doch sehr gering gewesen (5mg Folsäure: 8 Tote) und die Fehlerbalken sehr, sehr groß.Prompt fügt das Journal dieser Arbeit ausdrücklich einen Kommentar an. In dem sehr deutlich betont wird: „Dieser Befund ist ein Zufallsbefund“. Denn eine Vielzahl anderer Studien (einige werden zitiert) beweisen genau das Gegenteil: Folsäure verhindert Krebs. Erwähnt das der Buchautor? Nein, der schreibt lieber einen Bestseller.
- In der zweiten Arbeit geht es wieder um Folsäure und Brustkrebs. Es findet sich ein Zusammenhang. Ausdrücklich schreiben die Autoren, dass dies hier zum allerersten Mal behauptet wird. Hat es bisher noch nie gegeben. Und sie zitieren 19 Studien, die das Gegenteil behaupten. 19 zu 1. Was denkt da jeder vernünftige Mensch?
-
Die Autoren haben sogar den Mut, 7 von den 19 Studien herauszugreifen. Die von der Anlage, vom Design sehr ähnlich waren. Und erläutern die 7 Studien. Alle beweisen, dass Folsäure entweder keinen Einfluss auf Brustkrebs hat oder aber ihn sogar verhindert. Heißt zusammengefasst: Folsäure verhindert Brustkrebs.
Erzählt uns das der Buchautor? Nein, der schreibt lieber einen Bestseller.
Die zwei Arbeiten haben mir gereicht. Auf die anderen 5 habe ich verzichtet. Die gute Nachricht also:
Deutsche Frauenärzte müssen nicht geschlossen ins Gefängnis. Wir dürfen den Menschen weiterhin mit Folsäure helfen.
Aber grundsätzlich: Wird das nicht langweilig? Immer das Gleiche. Immer Sensationsmache auf Kosten von Patienten. Auf Kosten von Leben (Verhinderung von Schlaganfall und Herzinfarkt), auf Kosten von gesunden Kindern (Neuraldefekte treten dank Folsäure praktisch nicht mehr auf).
Dahinter steckt die großartige Idee der freien Meinungsäußerung. Ein bisschen Nachdenken?