Ein ernüchternder Bericht. Basierend auf einem Interview mit Prof. Gratzl von der Uni München. Prof. Gratzl ist Herausgeber des Lehrbuchs „Histologie“ im Springer-Verlag. Der Mann guckt hin, weiß Bescheid.

Und wundert sich über Kollegen, die nicht hingucken und auch Bescheid wissen (wollen). Das führt gelegentlich zu recht lustigem Geplänkel.

Denn Prof. Gratzl kann, weil er hinguckt, beweisen, dass 95% des menschlichen Serotonins sich im Magen und Darm befindet. Dort in der Schleimhaut. Also gilt für ihn:


  • Serotonin kontrolliert die Bewegung des Darmes.
  • Serotonin hat keine stimmungsaufhellende Funktion.

Ergibt sich für ihn schon aus der Mengenverteilung. 5% im Gehirn? Nur? Die sollen etwas bewirken? Dumm aber auch, dass sogar die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie (News vom 15.02.2012) in Antwort auf eine SPIEGEL-Anklage zugegeben hat


  • Bei mittelschwerer Depression wirken Psychopharmaka in 35%
  • während ein Placebo nur in 30% wirkt.

Unverzeihlich. Unvergesslich. Entlarvend. Was war denn da passiert? Hat jemand seine Tabletten nicht geschluckt? Die Frage hat einen ernsten Hintergrund: Wir wissen, dass gerade Fachkollegen recht häufig auf Psychopharmaka angewiesen sind. Nun ja: Dann kennen die sich auch aus. Ich seh das positiv.

Doch zurück zum Interview.


Frage: Die wichtigsten Antidepressiva blockieren Transportmoleküle von Serotonin. Verhindern möglichst die Wiederaufnahme von Serotonin aus dem postsynaptischen Spalt (da wirkt Serotonin) zurück in den Nerv. Dadurch soll Serotonin sich im Spalt ein bisschen anreichern. Die Frage nun: Gibt es diese Transportmoleküle von Serotonin nur im Gehirn oder auch im Darm?


Gratzl: Diese Transportmoleküle sind in großer Zahl im Darm vorhanden.


Frage: Wenn man jetzt ein Psychopharmakon einnimmt, zum Beispiel Citalopram, das dieses Transportmolekül blockiert, wird dann der Darm krank? Ist also der Reizdarm eine Folge von Psychopharmaka?


Gratzl: Das ist bisher noch nicht untersucht. (Noch einmal: Das ist bisher noch nicht untersucht! Wir sind hier in der Schulmedizin. Da gibt es viele Fragen, aber selten Antworten.)


Frage: Ist denn überhaupt geklärt, ob die Antidepressiva bis ins Gehirn gelangen? Werden die vielleicht schon im Darm abgefangen?


Gratzl: Das ist bisher noch nicht untersucht. (Noch einmal: Das ist bisher noch nicht untersucht.)


Wir sind hier an der Vorderfront der Wissenschaft: Man weiß nichts. „Das ist bisher noch nicht untersucht“. Den Satz merk ich mir.

Mir bleibt von Prof. Gratzl ein goldenes Statement:


Serotonin drückt den Stuhl zum Darmausgang.


Wer hier Schwierigkeiten hat, versteht diesen Satz sofort. Auf die Idee, in diesen Fällen (Obstipation, Verstopfung) kräftig Tryptophan-Kapseln zu schlucken, bin aber auch ich bisher nicht gekommen.

PS: Als Praktiker bin ich Prof. Gratzl in einem Punkt überlegen: Ich weiß, dass Serotonin eine stimmungsaufhellende Funktion hat. Weil wir das ausprobieren. Weil Sie das ausprobiert haben und mir daraufhin so angenehme Briefe schreiben.

Hier sieht Prof. Gratzl, sicherlich ein sehr korrekter und tatsachenorientierter Mensch (Histologe) ein bisschen zu schwarz.

Quelle: Depression-Heute (https://www.depression-heute.de/serotonin/serotonin-im-darm)