Histamin hat im Allgemeinen einen schlechten Ruf, gilt es doch als Auslöser der „HIT“ – der Histaminunverträglichkeit - und diese steht für ein Leben mit vielen Einschränkungen und Verzicht.

Ganz zu Unrecht – denn Histamin ist eines unserer wichtigsten Gewebshormone und Neurotransmitter.

Ohne Histamin würden Sie diesen Text nicht lesen, denn Sie wären gar nicht erst geboren worden. Als Gewebshormon ist es entscheidend daran beteiligt, dass sich eine befruchtete Eizelle in die Gebärmutterschleimhaut einnisten kann, oder eben nicht.

Ohne den Neurotransmitter Histamin wären Sie nicht in der Lage sich zu konzentrieren, zu lernen oder sich über eine längere Zeit wach zu halten.

Ohne Histamin wären unsere Mastzellen, unsere ältesten Immunzellen, wie eine entwaffnete Armee, die keinem feindlichen Angriff Stand halten würde. Sie halten sich daher aus gutem Grund immer einen gewissen Vorrat an Histamin. Denn es ist eine effektive Waffe gegen größere Bedrohungen, wie Parasiten. Gegen kleine Erreger, wie Bakterien und Viren, hat das Immunsystem andere Abwehrmechanismen, wie z.B. Fresszellen und antikörperbildende Plasmazellen.

Solange sein Spiegel im Gleichgewicht ist, bemerken wir Histamin nicht. Erst wenn er (plötzlich) ansteigt, zeigen sich seine Wirkungen als Rötung und Schwellung, Herzrasen sowie als Weitstellung der Gefäße. Diese Reaktionen sind zwar oft sehr unangenehm, haben aber auch einen Sinn. Denn so kann der Körper eine Rettungsgasse im Gewebe zu bilden, durch die andere Immunzellen, wie die weißen Blutkörperchen möglichst schnell an den Ort des Geschehens gelangen können.

Die gesamte belebte Natur enthält Histamin. Jedes Salatblatt, jedes Reiskorn und auch jedes Stück Obst. Oft jedoch so wenig, dass dieses direkt im Darm abgebaut wird und gar nicht erst ins Blut gelangen kann. Verdorbene, lange gelagerte, stark verarbeitete Lebensmittel, wie z.B. Bier, Salami, Ketchup, Sauerkraut, Hartkäse, Dosenfisch, Dosenfleisch enthalten in der Regel größere Mengen an Histamin, die für den ein oder anderen Darm auch problematisch sein können.

Im Gegensatz zu dem, was viele vermuten, kommt das meiste Histamin jedoch nicht von außen, also durch unsere Nahrung, in unseren Körper. Das meiste Histamin ist hausgemacht. In nur einem Syntheseschritt wird es aus der Aminosäure L-Histidin durch das Enzym Histidin-Decarboxylase hergestellt. Dies geschieht unter Verbrauch von Vitamin B6.

Um für einen ausgewogenen Spiegel zu sorgen, brauchen Sie keine besonderen Diäten einhalten. Ein gesunder Körper reguliert seinen Histaminspiegel über verschiedene Enzyme selbstständig. Selbst wenn Sie mehrere Tage mit Wasser fasten sollten, bleibt Ihr Histaminspiegel in Balance. Das ist ein evolutionserprobtes Überlebensprinzip.

Aber wie kommt es dann, dass immer mehr Menschen an einer HIT leiden und sich streng an „histaminarmen“ Einkaufslisten orientieren? Was steckt wirklich dahinter? – Das lesen Sie in meiner nächsten News.


Quellen:
Briguglio M, Dell'Osso B, Panzica G, Malgaroli A, Banfi G, Zanaboni Dina C, Galentino R, Porta M. Dietary Neurotransmitters: A Narrative Review on Current Knowledge. Nutrients. 2018 May 10;10(5):591. doi: 10.3390/nu10050591. PMID: 29748506; PMCID: PMC5986471.
Shulpekova YO, Nechaev VM, Popova IR, Deeva TA, Kopylov AT, Malsagova KA, Kaysheva AL, Ivashkin VT. Food Intolerance: The Role of Histamine. Nutrients. 2021 Sep 15;13(9):3207. doi: 10.3390/nu13093207. PMID: 34579083; PMCID: PMC8469513.


Über die Autorin:


"Kyra Kauffmann, Jahrgang 1971, Mutter zweier kleiner Söhne, Volkswirtin, seit 20 Jahren niedergelassene Heilpraktikerin, Buchautorin, Dozentin, Journalistin und seit 3 Jahren begeisterte Medizinstudentin.

Zur Medizin kam ich durch meine eigene schwere Erkrankung mit Anfang 30, bei der mir seinerzeit kein Arzt wirklich helfen konnte. („Ihre Werte sind alle super – es ist alles rein psychisch!“). Hilfe bekam ich von Heilpraktikern, die zunächst einmal eine wirklich gründliche Labordiagnostik durchgeführt haben, ganz nach dem Vorbild von Dr. Ulrich Strunz. Es war eine neue Welt, die sich mir eröffnete und die Erkenntnisse, haben mich sofort fasziniert (ohnehin bin ich ein Zahlen-Daten-Fakten-Fan und habe nicht umsonst das Studium der VWL gewählt). Die Begeisterung war so groß, dass ich meinen alten Beruf an den Nagel hängte und Heilpraktikerin wurde. Meine Praxis führe ich seit 20 Jahren mit großer Begeisterung und bin – natürlich - auf Labordiagnostik spezialisiert und kann so oft vielen Symptomen auf den Grund gehen. In 2 Jahren hoffentlich dann auch als Ärztin.